Yasna XXXII

 

Ahura Mazda

Königsinvestitur von Ardasîr II. durch Ahura Mazdâ und Mithra (od. Zarathustra?)
4. Jh. n. Chr.

 


 

1. UND HIER SIND WIR,

ob Herr oder Knecht,

einig in der Sehnsucht,

uns für dich zu vollenden.

Deine Zeugen wollen wir sein, o Gott,

deine heilig klaren Worte rufend

in allen Lärm.

 

2. Gott wirkt Geist,

Geist gibt Wahrheit,

Wahrheit gibt Freiheit,

Freiheit gibt Frommigkeit.

»lch will mit euch sein!«

spricht Gott.

 

3. Und dort seid ihr, aus

Selbstsucht geboren,

Geister des Bösen

und deren Propheten,

und du erster unter ihnen:

gleißende Lügen!

danach eure Taten!

In allen Zonen der Erde

weiß man davon.

 

4. Eure Macht habt ihr,

weil ihr den Menschen schmeichelt

und sie einwiegt im Angenehmen,

so werden sie müde der Arbeit an sich selbst

und taumeln fort

von Gott und seiner Pflicht.

 

5. Leben nennt ihr dies?!

Der Tod ist es eines wahrhaftigen Lebens.

Um die Ewigkeit bringt ihr sie

durch eure Zeitlichkeit.

Doch das Böse will es so,

es will Vernichtung.

 

6. Auf tausend Wegen schleicht es,

du allein, Gott, kennst sie alle.

Das Bessere und das Böse wird enden,

dann wird sich weisen, was gut war.

 

7. Auch der Weiseste unter uns

kann nicht richten.

Er lebt sein Leben,

die andern das ihre.

Gott allein weiß das Ende.

 

8. Auch der Heiligste hat seine Sünden.

War es nicht so mit Yima,

dem Sohne des Yivahvant,

der sonst so segensvoll wirkte?

Wie sollte auch ich frei davon sein?

 

9. Gott allein weiß, was richtig ist.

lch weiß nur, daß bei den Lehren jener

etwas erdrückt wird in meinem Herzen,

dan die Sehnsucht zum Guten

langsam erstickt wird,

und daß ich schreie nach Erlösung.

 

10. Darum nenne ich einen Irrlehrer,

wer zu Schanden macht, was mir das Tiefste ist,

wer mir meine Erde verdirbt

und mir den Blick zum Himmel wehrt,

wer die Klugen nur schlau macht,

sie nur irdischen Vorteil lehrt

und niederschlägt den, der mehr will.

 

11. Ach, sorgen sie denn

auch nur für irdisches Leben?

Ja, sie selbst leben, aber von der Armut der anderen,

indem sie die Menschen um ihren Lohn bringen

und durch ihr Tun

immer neue dazu verführen.

 

12. Sprachen nicht alle Propheten

aus solch bedrängtem Herzen wie ich,

loderte nicht in ihnen derselbe Zorn

gegen die Rotte,

welche die allen offene Erde

mit Satzungen und Rechtssprüchen verwehrt,

wie durch einen Zauber, den anderen?

In solche geklügelten Gesetze

hüllt sich jetzt Gruhma ein,

der Lügenkönig meiner Tage.

 

13. Nur dem Eigennutz dient er damit,

schlechte Triebe macht er noch schlimmer,

ein Mörder wahrhaft gütigen Lebens.

Und gemästet mit diesem Unrecht,

schmäht er aus seiner Wollust heraus

uns andre, die ihm wehren wollen.

 

14. Er bleibe, wie er ist,

das ist Strafe genug für ihn.

Aber laßt uns sorgen, daß er nicht weitergreife.

Sehet mit mir ein,

wohin ein solches Tun am Ende führen mun,

und diese Einsicht wird euch bewahren.

Macht uns die Erde wieder frei,

ein Opfer ist sie jetzt für Rasende.

 

15. Pfaffen und Adel engen das Leben ein,

aber mit dem Leben werden wir siegen.

Denn unser Leben ist mehr als Essen und Trinken:

Gerechtigkeit ist es,

und diese geht durch Himmel und Erde.

 

16. Von Gott holen wir uns unsere Kraft,

wer will wider uns sein?

Herr, gib mir Stärke in meinem Streben,

und verlasse mich nicht!

Du weißt, nur weil ich die Menschen liebe,

bete ich so.

 


Übers. Paul Eberhardt:
Das Rufen des Zarathushtra (Die Gathas des Avesta).
Ein Versuch, ihren Sinn zu geben.
Jena: Eugen Diederichs 1924, S. 15-18


 

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